Ehrenamt des Monats: „20 Jahre im Dienst für bedürftige Menschen“
Am 6. Dezember 2004 öffnete die Kleiderkammer der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Aue-Lauter erstmals ihre Türen. Vier Frauen setzen sich dafür ein, gebrauchte Kleidung an bedürftige Menschen weiter zu vermitteln. Zwei von ihnen sind von Anbeginn dabei und feierten im Dezember gemeinsam mit der Einrichtung ihr 20-jähriges Jubiläum als ehrenamtlich Engagierte.
Welche Kleidungsstücke und Schuhe tatsächlich verschlissen und welche aus Sicht ihrer bisherigen Besitzer nur „moralisch verschlissen“ sind, darüber müssen Gislinde Räthel, Liane Lange, Mandy Schöniger und Annett Schreiter regelmäßig befinden. Eine Kleiderkammer am Laufen zu halten bedeutet Anziehsachen und Schuhe entgegennehmen, sortieren, reinigen, ordnen und wieder ausgeben. Je besser der Zustand der abgegebenen Kleidung ist, umso weniger Aufwand haben die vier Frauen beim Sortieren. War das Abholen der Sachen bei den Spendern anfangs noch gängige Praxis, ist es mittlerweile eher selten der Fall – wer Gutes tun will, nimmt auch den Weg zur Kleiderkammer gern in Kauf. Es ist erstaunlich, was die Leute alles in ihren Schränken finden. Dass es in der Geschichte der Einrichtung nie einen wirklichen Mangel an Sachen gab, ist einerseits ein Zeichen für den Überfluss. 2.254 Bedürftige, die das Angebot der Kleiderkammer allein im Jahr 2024 in Anspruch genommen haben, sind andererseits ein Indiz dafür, dass es auch viele Menschen gibt, die auf Unterstützung angewiesen sind. Die Tendenz auf der Nachfrageseite ist in den vergangenen Jahren gleichbleibend hoch, so dass die vier ehrenamtlich engagierten Frauen gut zu tun haben. Und auch wenn es ab und an Menschen in die Kleiderkammer verschlägt, deren äußeres Erscheinungsbild Zweifel an ihrer Bedürftigkeit aufkommen lässt – es ändert nichts daran, dass im Treffpunkt der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde jede und jeder willkommen ist.
„Unser christlicher Glaube ist die Basis dafür, Menschen helfen zu wollen. Der Auftrag den wir als Kirchgemeinde für uns daraus ableiten, wollen wir gemeinsam erfüllen.“, gibt Gemeindeleiter Joachim Keller einen Einblick, woher er und die insgesamt 100 Mitglieder der Kirchgemeinde ihre Motivation schöpfen. Gemeinsam haben sie in den vergangenen Jahren einiges bewegt und 2010 ein historisches Gebäude in der Auer Innenstadt ersteigert. Im Zuge von umfangreichen Umbaumaßnahmen zur Brandschutzertüchtigung und energetischen Modernisierung ist ein neues Gemeindezentrum entstanden. Einen großen Teil der Kosten hat die Kirchgemeinde mit Unterstützung ihrer Mitglieder sowie durch Spenden von Unternehmen und Privatpersonen refinanziert. Dankbar ist man auch der Stadt Aue-Bad Schlema, die sich dafür eingesetzt hat, dass einige der baulichen Maßnahmen auch mit Hilfe von Fördermitteln realisiert werden konnten.
Oberbürgermeister Heinrich Kohl zieht auch aus Sicht der Stadt eine positive Bilanz: „Dank des umfassenden Engagements der Mitglieder der Kirchgemeinde konnte ein weiterer Teil der historischen Gebäudesubstanz in unserer Stadt erhalten werden. Umso mehr freue ich mich, dass mit dem Gemeindezentrum ein lebendiger Ort des Austauschs entstanden ist. Mit den Veranstaltungen, dem ‚Café mit Herz und Hand‘ und der Kleiderkammer hat er das Potential, einen positiven Beitrag zur Stadtentwicklung zu leisten.“
Der markante Bau im Jugendstil, beherbergte zu DDR-Zeiten den „Treff“, eine Tanzgaststätte mit einem zumindest zweifelhaften Ruf. Immer wieder melden sich Menschen bei der Kirchgemeinde, die sich dort kennengelernt oder wegweisende Lebensentscheidungen getroffen haben. Selbstverständlich stehen ihnen die Türen der Einrichtung offen und eine kleine Sammlung mit Zeitungsartikeln im Erdgeschoss trägt der bewegten Geschichte des Gebäudes Rechnung.
Die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Aue-Lauter versteht sich als offene Kirche. Neben den Gottesdiensten finden sich im Veranstaltungskalender auch Konzerte christlicher Bands und zahlreiche weitere Freizeitangebote für unterschiedliche Altersgruppen. Das „Café mit Herz und Hand“ bietet Besuchern neben einer Tasse Kaffee oder Tee auch Raum für Austausch.
Mit dem Umbau der Kleiderkammer steht ein weiteres Vorhaben kurz vor dem Abschluss. Die Kosten dafür werden auf circa siebzigtausend Euro beziffert. Eine stattliche Summe dafür, dass dieses Projekt ohne Zuschüsse der öffentlichen Hand auskommt und weitestgehend aus Spenden finanziert wird.
Für die vier engagierten Frauen der Kleiderkammer bedeutet der Umzug von der ersten Etage in die modernisierten Räume im Erdgeschoss einerseits viel Arbeit, andererseits aber auch eine deutliche Arbeitserleichterung aufgrund der besseren Zugänglichkeit. Anfang Februar soll die neue Kleiderkammer bezugsfertig sein. Funktionale Ausstattung wie Regale und weitere technische Ausstattung sind bereits in Planung.
Vom Engagement der Kirchgemeinde zeigt sich Landrat Rico Anton beeindruckt: „Mit der Kleiderkammer als Teil ihrer sozialen Arbeit leistet die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Aue-Lauter einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Den vier ehrenamtlich engagierten Frauen, die sich hier, teilweise seit 20 Jahren, Woche für Woche selbstlos in den Dienst bedürftiger Menschen stellen, gilt mein ausdrücklicher Dank.“
Für ihr langjähriges und vorbildliches soziales Engagement wurde das Team der Kleiderkammer der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Aue-Lauter mit dem „Ehrenamt des Monats Dezember“ ausgezeichnet. Es erhielt von der Fachstelle Ehrenamt des Erzgebirgskreises eine Urkunde, die erzgebirgische Holzfigur „HelD“ (Helfen und Danken) sowie eine Einladung zum Großen Regionalpreis des Erzgebirgskreises ERZgeBÜRGER.
Um ein noch besseres Bild von der Arbeit der vier Frauen zu bekommen, hat die Fachstelle Ehrenamt mit Gislinde Räthel ein ausführliches Interview geführt.
Sie engagieren sich schon seit über 20 Jahren ehrenamtlich für die Kleiderkammer. Was hat sie dazu bewogen so lange dabei zu bleiben?
Frau Räthel: „Liane Lange und ich sind vom ersten Tag an dabei. Unser Team besteht aus insgesamt vier Frauen. Ich bin sehr stolz auf jede einzelne und das, was wir gemeinsam erreicht haben und auch noch erreichen werden. So lange wir es noch können, machen wir weiter.“
Wie oft sind in der Kleiderkammer ehrenamtlich aktiv?
Frau Räthel: „Von Montag bis Donnerstag, insgesamt viermal pro Woche immer zu den Öffnungszeiten. Ab und zu kommt es auch vor, dass außerhalb der regulären Zeiten Sachen aufgrund von Wohnungsauflösungen abgeholt werden müssen oder dass auch mal am Wochenende gewaschen werden muss.“
Werden auch neue Sachen gespendet?
Frau Räthel: „Ja, das kommt immer wieder mal vor. Entweder wenn Menschen Kleidung bestellt haben, die nicht passt und sie vergessen haben diese zurück zu senden oder Sachen, die im Kleiderschrank gelandet sind, aber nie getragen wurden.“
Wer sind die Menschen die zu Ihnen kommen, um Hilfe zu erhalten?
Frau Räthel: „Das ist ganz unterschiedlich. Ich erinnere mich an eine Flüchtlingsfamilie, die mit einem kleinen Kind mehrere Wochen zu Fuß unterwegs waren. Das wenige was sie hatten, mussten sie auf der Flucht zurücklassen und kamen nur mit dem bei uns an, was sie auf der Haut trugen. Es kommen auch wohnungslose Menschen zu uns, vor allem, wenn sie wärmere Kleidung für die kalte Jahreszeit benötigen. Wir haben aber auch schon Familien mit dem Nötigsten ausgestattet, die aufgrund eines Brandes ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben.“
Wie betroffen machen Sie solche Schicksale?
Frau Räthel: „Es bewegt einen schon, wenn man persönlich mit den Nöten der Menschen konfrontiert wird. Oft geht es für Bedürftige um ganz existenzielle Dinge, die für uns sonst selbstverständlich sind. Warme Kleidung, eine Erstausstattung für Kleinkinder oder ein paar Schuhe. Manche Menschen kommen auch nur zu uns, um mit uns zu reden, oft um persönliche Schicksalsschläge zu verarbeiten. Wenn man in diese persönlichen Geschichten involviert wird, ändert sich die eigene Perspektive zu dem was im Leben wichtig ist, meist sehr schnell.“
Freuen Sie sich darauf, dass die Kleiderkammer neue Räumlichkeiten erhält?
Frau Räthel: „Ja, natürlich. Aber der Umzug und das Umräumen stellt für das gesamte Team schon eine große Herausforderung dar. Wir sind ja alle keine zwanzig mehr. Ich freue mich vor allem darauf, dass wir die Sachen nicht mehr die Treppe hinaufschaffen müssen und natürlich, dass wir für unsere Klientinnen und Klienten barrierefrei erreichbar sind.“
Was motiviert Sie, sich für bedürftige Menschen einzusetzen?
Frau Räthel: „Ich habe Zeit meines Lebens für Bedürftige gesammelt. Ich mache es aus Liebe zu den Menschen und natürlich spielt auch mein Glaube eine wichtige Rolle. Wir helfen denjenigen, die nicht mal das Notwendigste haben. Es sind für mich wahre Glücksmomente, wenn man die Dankbarkeit dieser Menschen spürt, ganz besonders wenn es sich um Kinder handelt. Es ist mir einfach ein inneres Bedürfnis für andere da zu sein.“
Bei welchen Sachen hat die Kleiderkammer den größten Bedarf?
Frau Räthel: „Es wird weniger Herren- als Damenkleidung gespendet, so dass wir uns immer über Kleidungsstücke freuen, die wir wieder an den Mann bringen können. Auch bei Bettwäsche und Handtüchern besteht immer Bedarf.“
Quelle: Fachstelle Ehrenamt / wu