Ehrenamt des Monats: Leihgroßeltern im Bürgerhaus Aue
Für ihre Enkel sind sie Taxiunternehmen, Kümmerer und weniger strenge „Ersatzeltern“, die es oft mit zwei Sätzen schaffen, Probleme nur noch halb so schlimm erscheinen zu lassen. Für die Eltern sind sie Erziehungshelfer und oft die letzte Rettung, wenn es um die Kinderbetreuung geht. Doch was, wenn die Großeltern weit entfernt wohnen oder aus anderen Gründen nicht helfen können. Man müsste sich Großeltern leihen können...
Genau diese Idee entstand 2013 im Netzwerk „Frauenpower“ des Fördervereins Jugend-, Kultur- und Sozialzentrum Aue e. V., ursprünglich um vor allem Alleinerziehende, Eltern in Schichtarbeit und Kinder aus benachteiligten Familien zu unterstützen. Entwickelt hat sich daraus ein Herzens-Projekt des im Bürgerhaus Aue ansässigen Vereins. Dank des ehrenamtlichen Engagements der Leihgroßeltern wurden in den vergangenen elf Jahren mehr als 15 Familien und über 40 Kinder unterstützt.
Vom Tag an dem die eigenen Kinder das Haus verlassen, bis zu jenem, an dem die übernächste Generation ihre Aufmerksamkeit braucht, blieb den Leihgroßeltern des Bürgerhauses Aue oft nur eine kurze Verschnaufpause. Meist haben sie sogar eigene Kinder und Enkelkinder, in manchen Fällen wohnt die eigene Familie weit entfernt. Insgesamt sechs Leihomas und -opas betreuen in Aue-Bad Schlema und Umgebung aktuell 14 Kinder und ihre Eltern.
Die Ersatzgroßeltern holen die Kinder, die sie betreuen, von der KITA oder aus der Schule ab. Sie kochen, backen und basteln mit ihnen, gehen auf den Spielplatz oder besuchen den Zoo. Sie helfen bei den Hausaufgaben und übernehmen die Betreuung, wenn die Eltern Alltagstermine haben, bei denen die Kinder nicht so gern dabei sein wollen.
Geburtstage und Familienfeste werden gemeinsam gefeiert. Über die Zeit entstehen feste soziale Bindungen, die den Kindern Halt und Struktur geben. Irgendwann sind die Leihgroßeltern für sie einfach nur noch „Oma und Opa“, bei denen man auch mal am Wochenende übernachtet oder mit ihnen in den Urlaub fährt.
Landrat Rico Anton: „Der Facettenreichtum des ehrenamtlichen Engagements bei uns im Erzgebirgskreis überrascht mich immer wieder aufs Neue. Die Verantwortung gegenüber den Kindern und ihren Familien, die die Leihgroßeltern im Zuge der Patenschaft übernehmen, ist ein außergewöhnlich wertvoller Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“
Für die Eltern, die mitunter im Schichtdienst arbeiten oder ihre Jüngsten allein erziehen, sind die Leihgroßeltern weit mehr als eine Entlastung zur Kinderbetreuung: mit ihrer Erfahrung und ihrem Wissen sind sie eine Bereicherung für das Familienleben und wichtige Bezugspersonen für die Jungen und Mädchen.
Die Motive der Seniorinnen und Senioren sind dabei ganz ähnlich: sie wollen sich einbringen, der Gesellschaft etwas zurückgeben und zum Glück halten Kinder ja bekanntlich jung. Der Lohn für ihren Einsatz sind die Erlebnisse und die gemeinsame Zeit mit den Kindern – was sie leisten und bewegen können, haben die Leihgroßeltern stets vor Augen.
Der Oberbürgermeister der Stadt Aue-Bad Schlema, Heinrich Kohl, gratulierte persönlich: „Ich freue mich sehr über diese mehr als verdiente Auszeichnung bürgerschaftlichen Engagements. Das Projekt ‚Leihgroßeltern‘ ist jedoch viel mehr, verbindet es doch Generationen miteinander, sorgt für gegenseitiges Verständnis und nicht zuletzt für ein gutes ‚Funktionieren‘ im Miteinander der städtischen Gemeinschaft, in der man einander hilft und zur Seite steht. Dies kann man in der heutigen Zeit gar nicht hoch genug einschätzen.“
Für ihr umfassendes und langjähriges Engagement wurden die Leihgroßeltern Christa und Rudolf Klein, Evelin und Jens Möckel sowie Christina Zille und Hannelore Günther mit dem „Ehrenamt des Monats April“ ausgezeichnet. Sie erhielten von der Fachstelle Ehrenamt des Erzgebirgskreises eine Urkunde, die erzgebirgische Holzfigur „HelD“ (Helfen und Danken) sowie eine Einladung zum Großen Regionalpreis des Erzgebirgskreises ERZgeBÜRGER.
Um ein noch besseres Bild von ihrem sozialen Engagement zu bekommen, hat Frank Wutzler von der Fachstelle Ehrenamt mit der Leiterin des Projekts sowie den Leihgroßeltern Christa und Rudolf Klein ein ausführliches Interview geführt.
Wie kam es dazu, dass Sie sich als Leihgroßeltern engagieren?
Frau Klein: „Wir sind seit 2015 als Leihgroßeltern aktiv und damals durch eine Zeitungsanzeige auf das Projekt aufmerksam geworden. Mein Mann und ich hatten zu dem Zeitpunkt selbst keine Enkel, waren aus dem Arbeitsprozess ausgeschieden und wollten gemeinsam etwas Sinnstiftendes tun.“
Frau Kaube, wie geht es dann weiter, wenn sich Interessierte bei Ihnen als Projektverantwortliche melden?
Frau Kaube: „Wichtig ist uns, dass sich alle Beteiligten bewusst sind, dass diese Patenschaften langfristig angelegt sind, da die zukünftigen Leihomas und -opas wichtige Bezugspunkte für die Kinder sein werden. Wir laden die Interessierten zunächst zu uns ein und führen erste Gespräche. Wenn sich Menschen für diese Aufgabe entscheiden, lassen wir uns ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen und sie erhalten im Vorfeld entsprechende Schulungen, u.a. zum Kinderschutz.
Im weiteren Prozess kommt es zu ersten begleiteten Treffen zwischen den Leihgroßeltern und den Familien mit ihren Kindern. Während dieses gegenseitigen Kennenlernens schauen wir sehr genau hin – einerseits, ob sich die Engagierten dieser verantwortungsvollen Aufgabe gewachsen fühlen, andererseits wie die Familien und vor allem die Kinder mit dieser, für sie neuen Situation umgehen.“
Wie haben Sie als Engagierte diese Kennenlernphase erlebt?
Herr Klein: „Wir haben 2015 eine Familie aus Alberoda kennengelernt. Der Familienvater war berufsbedingt viel unterwegs. Die Mutter hat mit ihrer damals dreijährigen Tochter und dem sieben Monate alten Sohn um Hilfe bei der Betreuung ihrer Kinder gebeten. Wir standen während dieser Zeit in ständigem Austausch mit dem Verein und mit der Familie. Am Anfang war es wichtig, die Kinder, die Eltern aber auch das jeweilige Umfeld kennenzulernen. Bei gegenseitigen Besuchen haben beide Seiten erst einmal geschaut wie wohnen und leben die anderen eigentlich. Mit der Zeit baut sich ein Vertrauensverhältnis auf, so dass man nach und nach mehr Zeit mit den Kindern verbringt.“
Wie hat Sie diese erste Patenschaft geprägt?
Herr Klein: „Wir haben durch die Familie sehr viel Anerkennung erhalten. Auch wenn wir sie nicht mehr betreuen, besteht der Kontakt bis heute und wir haben kürzlich auch eine Einladung zur Jugendweihe der Tochter erhalten.“
Frau Kaube, wie weit kann aus Ihrer Sicht als Projektleiterin die Hilfe durch die Leihgroßeltern gehen und wo stoßen sie an Grenzen?
Frau Kaube: „Die Leihgroßeltern können und sollen keine tiefgreifenden zwischenmenschlichen Probleme lösen. Das ist im Ehrenamt nicht leistbar. Auf diese Gradwanderung, wieviel Verantwortung kann man im Ehrenamt übernehmen und wo braucht es professionelle Hilfe, mussten wir uns in den neun Jahren, in denen es das Projekt gibt immer mal wieder begeben. Unsere Leihomas und -opas sind präventiv tätig, indem sie zum Wohl der Kinder Familien unterstützen, bevor Situationen entstehen, die zu einer dauerhaften Überlastung der Eltern führen und oft der Grund sind, dass in der Folge weitere Probleme entstehen.“
An welche Grenzen sind Sie als Leihgroßeltern gestoßen?
Herr Klein: „Man stößt auch aufgrund des Alters ab und an mal an Grenzen. Mit über 70 Jahren wird es dann langsam schwierig, mit den Kindern auf dem Spielplatz zu klettern. Wir sehen die Patenschaft auch als einen Bildungsauftrag und die gemeinsame Zeit mit den Kindern bereitet uns viel Freude.“
Frau Klein: „Aktuell betreuen wir zwei Familien parallel. Davon ist eine alleinerziehende, verwitwete Mutter, die ursprünglich aus China stammt und Zwillinge im Alter von fünf Jahren hat. Das Schicksal der Familie und die anfänglichen Sprachbarrieren bringen einen sowohl emotional als auch organisatorisch an Grenzen. Im Zuge dieser Patenschaft unterstützen wir die Mutter auch als Alltagsbegleiter. Wir haben mit den Kindern auch ein Muttertagsgeschenk gebastelt und gemeinsam übergeben. Die Dankbarkeit, die man in solchen Momenten erfährt, ist auch für uns eine Bereicherung, weil wir unmittelbar sehen, dass unsere Hilfe ankommt und etwas bewirkt.“
Wie schwierig ist es für das Projekt Leihgroßeltern zu finden?
Frau Kaube: „Es ist über die vergangenen Jahre schwieriger geworden. Man bindet sich langfristig, der Zeitaufwand und die Verantwortung sind sehr hoch und, so ehrlich muss man sein, es bedeutet für die Leihgroßeltern auch einen finanziellen Mehraufwand.“
Was braucht es um gute Leihgroßeltern sein zu können?
Frau Klein: „Wichtig ist ein kindgerechtes Umfeld. Es braucht Liebe zu Kindern, Toleranz aber manchmal auch eine gesunde Strenge und Konsequenz. Ein ‚nein‘ ist manchmal genauso wichtig, wie die Fähigkeit Kompromisse einzugehen. Wir sind in erster Linie Kümmerer. Wir kommen in dieser Rolle aber auch immer wieder in Situationen, in denen wir in die Erziehung eingreifen. In jedem Fall braucht man Zeit, auch für sich selbst, um an der Aufgabe zu wachsen. Für uns war und ist es eine Bereicherung für die Kinder da zu sein, auch wenn wir mittlerweile eigene Enkel haben.“
Quelle: Fachstelle Ehrenamt / wu